„Raumfahrt betrifft uns alle“
Der Astronaut Dr. Thomas Reiter geleitete an der Universität Siegen rund 500 Interessierte durch Geschichte und Zukunft der Raumfahrt.
„Es ist eine urmenschliche Eigenschaft, sich für das Unbekannte zu interessieren. Auch in früheren Jahrhunderten sind die Entdecker einfach in Richtung Horizont abgesegelt, ohne zu wissen, was kommt“.
Dieses Zitat stammt von Dr. Thomas Reiter und ist zu finden im Sachbuch von Maja Nielsen „Kosmonauten – mit 20 Millionen PS ins All“. Ein kräftiger Hauch dieses Wagemuts und der Faszination Weltraum durchzog am 6. Juli den Friedrich-Schadeberg-Hörsaal am Campus Unteres Schloss.
Zu Gast war der Astronaut Dr. Thomas Reiter. Als ESA-Wissenschaftsastronaut weilte er vom 3. September 1995 und bis zum 29. Februar 1996 auf der russischen Weltraumstation MIR, die von 1986 bis 2001 genutzt wurde. Als erster Deutscher verließ er am 12. Oktober 1995 das Raumschiff zu einem „Spaziergang“. Am 4. Juli 2006 startete der gebürtige Neu-Isenburger zu einem Flug zur Raumstation ISS.
Zu Gast in Siegen war Reiter auf Einladung des Hauses der Wissenschaft der Universität Siegen. Anlass bot das Wissenschaftsjahr 2023 „Unser Universum“ sowie der Antrag „Mars findet Stadt. Auf der Umlaufbahn durch neun Städte“ von Science2Public und den insgesamt neun Partnern im Strategiekreis „Wissenschaft in der Stadt“ (WISTA). Knapp drei Wochen lang hing der Mars des britischen Künstlers Luke Jerram im Campus Buschhütten.
Wegen ESA-Verpflichtungen musste der für den 20. Juni geplante Besuch des bekannten deutschen Astronauten auf Anfang Juli verschoben werden und fand schließlich im Rahmen der Vortragsreihe „Forum Siegen“ statt. Mehr als 500 Gäste füllten – inmitten der NRW-Sommerferien – den Friedrich-Schadeberg-Hörsaal im Hörsaalzentrum, darunter Uni-Kanzler Ulf Richter, Prorektorin Prof. Dr. Petra Vogel und Prorektor Prof. Dr. Thomas Mannel.
Vorab trug sich Thomas Reiter auf dem Uni-Campus ins Goldene Buch der Stadt Siegen ein. Siegens Bürgermeister Steffen Mues: „Einen Astronauten haben wir noch nicht in unserem Goldenen Buch.“ Der Eintrag sei Persönlichkeiten vorbehalten, „die eine außerordentliche Leistung erbracht haben. Astronauten sind dafür wie gemacht“. Die Leistung sei „sprichwörtlich astronomisch und galaktisch“. Raumfahrer umgebe ein besonderer Mythos.
Mues bedankte sich bei Reiter, „dass Sie der Stadt und mir die Ehre geben, sich ins Goldene Buch einzutragen“. Er betonte, dass auch Siegen eine Verbindung zur Raumfahrt habe. Die Vorfahren des 2. Mannes auf dem Mond, des Amerikaners Buzz Aldrin, stammen aus dem kleinen Siegener Stadtteil Trupbach. Der Dank des Bürgermeisters gelte auch dem Haus der Wissenschaft, in dem „Bürgerinnen und Bürger sowie Universität zusammenkommen“.
Thomas Reiter bedankte sich für die ihm zugekommene Ehre. „Wer einmal im Weltraum war, dem ist es ein Anliegen, seine Eindrücke mit möglichst vielen Menschen zu teilen und darauf hinzuwirken, dass Menschen verstehen, wie die Raumfahrt den Alltag beeinflusst.“
Über eine Stunde lang trug der Gast zum Thema „Raumfahrt in Europa – Aktuelle Entwicklungen, Perspektiven und Risiken“ vor. 80 Satelliten hat die europäische Raumfahrtbehörde ESA mit ihren 22 Mitgliedsstaaten seit 1975 entwickelt und betrieben. Das Budget beläuft sich im Jahr 2023 auf 7,08 Milliarden Euro. Programmatische Säulen der ESA sind Wissenschaft und Exploration, Anwendungen, Enabler und Unterstützungsdienste sowie Sicherheit aus dem Weltraum und im Weltraum.
Reiter: „Die Raumfahrt ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken, sie betrifft uns alle.“ Ob nun Daten zum Klimawandel oder Telekommunikation – ohne die gelieferten Daten aus dem All gäbe es keine derart umfangreichen Erkenntnisse. Nicht zuletzt aus diesem Grund sorgt sich der verdiente Astronaut um die europäische Raumfahrt: „Aktuell sieht es in Europa etwas mau aus.“ Der Start der Trägerrakete Ariane 6 verzögere sich voraussichtlich bis zum Jahresende. Reiters Fazit: „Wir sind blank und müssen uns auf Partner verlassen.“
Reiter lud die Hörerschaft auf eine Reise durch zwei Raumstationen, etliche Forschungsprojekte an deren Bord sowie die eine oder andere Fragestellung ein, die die Wissenschaft bewegt. Er berichtete zum Abschluss über die physiologischen Effekte der Schwerelosigkeit, die Analogien zum menschlichen Alterungsprozess aufweist: Muskelabbau, Schwächung des Immunsystems, reduzierte Funktion des Gleichgewichtssinns, Osteoporose. Gepaart mit beeindruckenden Fotos aus der eigenen Kamera und Aufnahmen der ESA war der Vortrag ein Erlebnis, das dem Gast mit donnerndem Applaus gedankt wurde.